Bulimie

9 Minuten

Aktualisiert am 25. November 2025

 

  • Bulimie (Bulimia nervosa) ist eine Essstörung mit wiederkehrenden Essanfällen und anschließendem kompensatorischem Verhalten wie Erbrechen, Fasten oder extrem viel Sport, um eine Gewichtszunahme zu vermeiden.
  • Das Selbstwertgefühl der von Bulimie Betroffenen hängt sehr von ihrem Äußeren ab.
  • Die Krankheit ist mit einem ausgeprägten Kontrollverlust und intensiven Schamgefühlen verbunden.
  • Viele Patientinnen und Patienten können ihre Krankheit mit einer ambulanten Psychotherapie in den Griff bekommen. Bei schweren Formen, Begleiterkrankungen und Suizidalität ist eine stationäre Bulimie-Behandlung in einer Klinik erforderlich.

Bulimie: Essen ohne Kontrolle

 

Wer unter Bulimie leidet, isst nicht, bis er satt ist, sondern bis der Magen schmerzt. Für Betroffene ist Essen kein Genuss, sondern eine Strategie, um belastende Gefühle kurzfristig zu dämpfen. Scham, Schuld und die Angst davor, dick zu werden, begleiten fast jede Episode. Meist werden die Essattacken und das Erbrechen verheimlicht, was die psychische Belastung verstärkt. Viele rutschen schließlich in einen Kreislauf aus Überessen und Übergeben, dem sie allein nur schwer entkommen können.

Wie viele erkranken an Bulimie?

Bulimie ist eine psychische Störung, die nicht sehr häufig auftritt: Schätzungen zufolge erkranken 1,9 % der Frauen und Mädchen und 0,6 % der Jungen und Männer im Laufe ihres Lebens an einer Bulimia nervosa.1 Besorgniserregend ist, dass die Betroffenen immer jünger werden.

Was weiß man über Auslöser und Ursachen der Bulimie?

Eine Ess-Brech-Sucht ist, wie alle Essstörungen, eine multifaktoriell bedingte Krankheit, die durch bestimmte biologische, psychische, familiäre und soziokulturelle Faktoren begünstigt wird. In der Regel entwickelt sich eine Essstörung bzw. eine Bulimia nervosa erst, wenn mehrere Aspekte zusammenkommen.

Wie entsteht eine Bulimie?

Die Entwicklung einer Essstörung ist, wie schon erwähnt, ein multifaktorielles Geschehen, das durch biologische, psychische, soziale und Persönlichkeitsfaktoren beeinflusst wird. Damit sich eine Bulimie entwickelt, müssen mehrere ungünstige Bedingungen und Ereignisse zusammentreffen, die die Bewältigungsstrategien einer Person überfordern. Es kann zu folgendem Verhalten kommen:

Essen als Kompensationsstrategie

Übermäßiges Essen wird als (dysfunktionale) Kompensationsstrategie eingesetzt, um unerträglich erscheinende Gefühle kurzfristig zu dämpfen. Weil die Figur einen hohen Stellenwert für den Selbstwert hat, werden kompensatorische Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass das Gewicht steigt.

Festigung neuer Bewältigungsmechanismen

Mit der Zeit entsteht ein Lernprozess: Das Gehirn verknüpft Essanfälle und Gegenmaßnahmen immer stärker mit emotionaler Entlastung. Dadurch etablieren sich die Verhaltensmuster zunehmend als automatisierte Strategien, die kaum noch bewusst gesteuert werden können.

Automatisierte Verhaltensweisen

Es gibt Hinweise darauf, dass es im Verlauf der Erkrankung zu neurobiologischen Veränderungen kommt, z. B. im Belohnungssystem, bei der Stressregulation und der Impulskontrolle. Diese Veränderungen wirken gemeinsam mit den erlernten Verhaltensmustern zusammen und stabilisieren den Kreislauf.

Wie wird Bulimie diagnostiziert?

Die Diagnostik von Bulimie erfolgt im Gespräch mit dem Arzt oder Therapeuten mithilfe standardisierter Interviews und Fragebögen. Dabei geht es vor allem um das Essverhalten, um Essattacken, um das Gefühl, dabei die Kontrolle zu verlieren, und um Maßnahmen, mit denen Betroffene versuchen, eine Gewichtszunahme zu verhindern – etwa Erbrechen, Fasten, Missbrauch von Abführmitteln oder sehr intensiver Sport. Zusätzlich werden Blutwerte, Herzfunktion und der allgemeine Gesundheitszustand überprüft.

Nach ICD-10 wird Bulimie diagnostiziert, wenn

  • häufige Essanfälle auftreten, bei denen große Nahrungsmengen in kurzer Zeit gegessen werden,
  • diese Essanfälle mindestens zweimal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten vorkommen,
  • ein deutliches Gefühl von Kontrollverlust beim Essen besteht,
  • regelmäßig Gegenmaßnahmen eingesetzt werden, um eine Gewichtszunahme zu verhindern (z. B. Erbrechen, Abführmittel, Fasten, exzessiver Sport) und die
  • Gedanken stark um Essen, Figur und Gewicht kreisen.

Im neueren ICD-11 wurden die Kriterien an die aktuelle Forschung angepasst:9

  • Essanfälle und kompensatorisches Verhalten müssen im Schnitt mindestens einmal pro Woche über den Zeitraum eines Monats auftreten, die Schwelle ist also niedriger als im ICD-10.
  • Kontrollverlust beim Essanfall: Essen größerer Mengen als gewöhnlich, Unfähigkeit, mit dem Essen aufzuhören
  • Anwendung unangemessener kompensatorischer Maßnahmen, um eine Gewichtszunahme zu verhindern.
  • Figur und Körpergewicht haben einen übermäßig großen Einfluss auf das Selbstwertgefühl.
  • Ausgeprägter Leidensdruck und Funktionsbeeinträchtigung in persönlichen, sozialen, schulischen / beruflichen Bereichen.

Wie wird Bulimie behandelt?

Die Therapie besteht in der Regel aus mehreren Bausteinen, bei denen die psychotherapeutische Behandlung im Zentrum steht. Psychische Begleiterkrankungen werden in der Regel mitbehandelt, da sie zur Aufrechterhaltung der Erkrankung beitragen können. Auch manifeste körperlichen Folgeschäden werden behandelt. Um Betroffene dabei zu unterstützen, Essanfälle und kompensatorisches Verhalten zu verringern und langfristig ein gesundes Essverhalten aufzubauen, ist ein ganzheitlicher Therapieansatz sinnvoll.

Welche Folgen kann Bulimie haben?

Bulimia nervosa führt im Gegensatz zu anderen Essstörungen selten zu einer deutlichen Gewichtszu- oder -abnahme. Dennoch ist die Erkrankung alles andere als harmlos. Der Kreislauf aus Essanfällen und kompensatorischem Verhalten kann vielfältige körperliche und psychische Folgen nach sich ziehen – nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig.

  • Zahnschäden durch Magensäure (Zahnschmelzverlust, Karies).
  • Reizungen der Speiseröhre und Sodbrennen durch häufiges Übergeben.
  • Schwellungen der Speicheldrüsen, vor allem an den Wangen.
  • Elektrolytstörungen, insbesondere Kaliummangel, der gefährliche Herzrhythmusstörungen auslösen kann.
  • Magen-Darm-Beschwerden wie Verstopfung, Blähungen und verzögerte Magenentleerung.
  • Hormonelle Störungen, bei Mädchen und Frauen unregelmäßige oder ausbleibende Menstruation.

  • Depressive Symptome oder eine Depression.
  • Angststörungen, zum Beispiel starke innere Unruhe oder Panikattacken.
  • Substanzkonsum, etwa vermehrter Alkohol– oder Drogenkonsum als zusätzliche Bewältigungsstrategie.
  • Selbstverletzendes Verhalten, ausgelöst durch hohe emotionale Belastung.
  • Erhöhtes Risiko für Suizidgedanken oder Suizidversuche.

  • Insgesamt erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, vor allem durch körperliche Komplikationen und psychische Begleiterkrankungen.

Bulimie: Was können Betroffene selbst tun?

Um zu verhindern, dass sich die Essstörung verfestigt und körperliche oder seelische Folgeschäden entstehen, ist eine frühe Behandlung der Bulimie besonders wichtig. Ein erster Schritt ist, sich einzugestehen, dass das eigene Essverhalten und die kompensatorischen Maßnahmen außer Kontrolle geraten sind.

Danach ist es sinnvoll, sich professionelle Unterstützung zu suchen – etwa bei einer Hausärztin, einem Psychotherapeuten, einer Beratungsstelle oder spezialisierten Online-Hilfsangeboten. Viele Betroffene erleben schon Entlastung, wenn sie sich einer vertrauten Person öffnen. Professionelle Hilfe bleibt jedoch zentral, weil Essattacken und Erbrechen ohne fachliche Behandlung meist wiederkehren und sich der Kreislauf mit der Zeit verstärkt.

Hilfe bei Bulimie finden

Der erste Schritt ist für viele Menschen mit Bulimia nervosa der schwerste, denn Scham und Angst vor Stigmatisierung halten viele Betroffene davon ab, sich Hilfe zu suchen. Dabei gibt es viele niedrigschwellige Angebote:

Hausärztin oder Hausarzt
Erste Anlaufstelle für Untersuchung, Beratung und Überweisung an Fachärzte oder Therapeuten.

Fachärzte für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik
Diagnose und Behandlung der psychischen Aspekte der Erkrankung.

Psychotherapeutische Praxen
Ambulante Einzel- oder Gruppentherapie, ggf. mit Familientherapie.

Regionale Beratungsstellen

  • Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstellen (PSKB)
    (Stadt, Landkreis, Vereine, soziale Träger)
  • Beratungsstellen des Bundesfachverbandes Essstörungen

Telefonische und Online-Beratung

  • Beratungstelefon BIÖG (0221 892031)
  • TelefonSeelsorge (0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222)
  • Online-Beratung von Anad.de

Selbsthilfegruppen

  • Regionale Selbsthilfegruppen findet man bei NAKOS

Häufige Fragen zum Thema „Bulimie“

Nein. Bulimie (Bulimia nervosa) und Magersucht (Anorexia nervosa) sind zwei verschiedene Essstörungen mit klar unterscheidbaren Merkmalen. Bei der Anorexie steht eine drastische Gewichtsreduktion im Vordergrund, meist durch Einschränken der Nahrungsaufnahme und übermäßigen Sport. Bei der Bulimie kommt es zu wiederkehrenden Essattacken mit anschließendem kompensatorischem Verhalten wie Übergeben, Abführen oder Fasten, um eine Gewichtszunahme zu verhindern. Auch wenn manche Menschen mit Anorexie sich ebenfalls übergeben, ist dieses Verhalten kein Leitsymptom der Krankheit und tritt deutlich seltener auf.

Ja, die Sterblichkeit ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht. Dafür sind zwei Faktoren ausschlaggebend:

Körperliche Komplikationen: Besonders gefährlich sind Elektrolytentgleisungen, Herzrhythmusstörungen und Organprobleme durch wiederholtes Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch. Diese Komplikationen können im Extremfall lebensbedrohlich werden.

Erhöhtes Suizidrisiko: Studien zeigen, dass Menschen mit Bulimie häufiger unter Depressionen, Angststörungen und Selbstwertverlust leiden – Faktoren, die das Suizidrisiko erhöhen, vor allem bei jungen Menschen.12 Dieses Risiko trägt maßgeblich zur erhöhten Gesamtsterblichkeit bei.

Bulimie lässt sich nicht „wegreden“. Verständnis und Begleitung durch Angehörige und Freunde können aber den entscheidenden Anstoß geben, dass sich Betroffene Unterstützung holen. Überdies können sie schon mit kleinen Maßnahmen unterstützen:

  • Ruhig und wertschätzend das Gespräch suchen, ohne Druck aufzubauen.
  • Unterstützung anbieten, z. B. bei der Suche nach professioneller Hilfe.
  • Keine Vorwürfe oder Schuldzuweisungen
  • Den Menschen sehen, nicht die Essstörung.
  • Kleine Schritte positiv verstärken, z. B. offene Gespräche oder erste Behandlungskontakte.

1 Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit „Wie häufig sind Essstörungen?“, https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/wie-haeufig-sind-essstoerungen/ (Datum des Zugriffs: 17.11.2025)

2 Thornton, L. M., Bulik, C., Mazzeo, S. E.: „The Heritability of Eating Disorders: Methods and Current Findings“. In: Current Topics in Behavioral Neurosciences, 1/2011, DOI: 10.1007/7854_2010_91, https://www.researchgate.net/publication/49763581_The_Heritability_of_Eating_Disorders_Methods_and_Current_Findings, (Datum des Zugriffs: 17.11.2025)

3 Svaldi J, Tuschen-Caffier B. „Bulimia nervosa“, In: PSYCH up2date 2018; 12: 415–431, S. 420, DOI: 10.1055/a-0498-3661, https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/a-0498-3661.pdf  (Datum des Zugriffs: 17.11.2025)

4 Ebd., S. 416

5 Arkenau-Kathman, R.: „Geschlechtsspezifische Besonderheiten im Körperbild: Untersuchung von selektiven körperbezogenen Aufmerksamkeitsprozessen bei Frauen und Männern sowie weiblichen und männlichen Jugendlichen“, Dissertation 2022, Universität Osnabrück, https://osnadocs.ub.uni-osnabrueck.de/bitstream/ds-202208197299/6/thesis_arkenau-kathmann.pdf (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

6 Kaufmännische Krankenkasse (KKH): Essstörungen: „Prozentuale Veränderung bei den Frauen von 2019 auf 2023 nach Altersgruppen“, https://www.kkh.de/content/dam/kkh/presse/bilder-grafiken/infografiken/KKH_Grafiken%20Essstörungen%202019%20bis%202023.pdf, (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

7 Lie, S., Bulik, C., Andreassen, O, Rø, Ø., Bang, L.: „Stressful live events among individuals with a history of eating disorders: a case-control comparison“, BMC Psychiatrie (2021)21:501, https://doi.org/10.1186/s12888-021-03499-2, https://d-nb.info/1248504240/34, (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

8 MacDonald, D.E., Solomon-Krakus, S., Jewett, R., Liebman, R., Trottier, K. (2022): „Emotion Regulation in Bulimia Nervosa and Purging Disorder“. In: Patel, V., Preedy, V. (eds) Eating Disorders. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-67929-3_44-1, (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

9 Zwaan, M. de: „ICD-11: Veränderungen im Bereich der Essstörungen“, In: Verhaltenstherapie 2024; 34:139-146, DOI: 10.1159/000542466, veröffentlicht online: 24.01.2025, https://karger.com/ver/article-pdf/34/3-4/139/4327501/000542466.pdf, (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

10 Bundespsychotherapeutenkammer: „BPtK Leitlinien-Info Essstörungen“, 1. Aufl. November 2021, https://www.ptk-nrw.de/fileadmin/user_upload/downloads/02_kammer/bptk/BPtK_Leitlinien-Info_Essstoerungen.pdf, (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

11 Herpertz, S., Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) (Hrsg.): „S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen“, S. 233, https://register.awmf.org/assets/guidelines/051-026l_S3_Essstoerung-Diagnostik-Therapie_2020-03-abgelaufen.pdf, (Datum des Zugriffs: 19.11.2025)

12 Arnold, S., Correll, C.U. & Jaite, C.: “Frequency and correlates of lifetime suicidal ideation and suicide attempts among consecutively hospitalized youth with anorexia nervosa and bulimia nervosa: results from a retrospective chart review”. bord personal disord emot dysregul 10, 10 (2023). https://doi.org/10.1186/s40479-023-00216-1https://bpded.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40479-023-00216-1 (Datum des Zugriffs: 18.11.2025)

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