Akute Belastungsreaktion

11 Minuten

Aktualisiert am 8. Juli 2025

 

 

Das Thema im Überblick

  • Eine akute Belastungsreaktion ist eine kurzzeitige psychische Reaktion auf ein außergewöhnlich belastendes (traumatisches) Ereignis, z. B. einen Unfall, eine Naturkatastrophe oder eine Gewalttat.
  • Sie tritt unmittelbar nach dem Ereignis auf und klingt in der Regel innerhalb von Stunden oder binnen der nächsten drei Tage wieder ab.
  • Mögliche Symptome einer akuten Belastungsreaktion sind z. B. starke Unruhe, Desorientierung, Rückzug, vegetative Symptome (wie Zittern, Herzrasen), aber auch eine vorübergehende Gefühllosigkeit oder Erstarrung.
  • Diese körperliche und psychische Reaktion ist keine Krankheit, sondern eine normale seelische Reaktion auf eine extreme Belastung.
  • Wenn die Symptome länger anhalten oder besonders belastend sind, kann sich daraus eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
  • Bei starker bzw. anhaltender Belastung können sich Betroffene an ihren Hausarzt, eine psychosoziale Beratungsstelle, einen Psychotherapeuten oder einen Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatik wenden.

Wenn das Leben aus dem Takt gerät

Die Psyche kann aus dem Gleichgewicht geraten: nach dramatischen Ereignissen wie Naturkatastrophen, Überfällen oder Gewalterfahrungen, aber auch durch andere stark belastende Lebensumstände, z. B. einen schweren Unfall (selbst erlebt oder als Zeuge), plötzlichen Arbeitsplatzverlust, den Tod eines geliebten Menschen oder die Diagnose einer schweren Krankheit.

Manche Menschen reagieren in solchen Situationen mit starker Unruhe, Angst oder körperlichen Symptomen wie Zittern und Herzklopfen. Andere ziehen sich zurück oder wirken wie erstarrt. Umgangssprachlich ist dann oft von einem „Nervenzusammenbruch“ die Rede. Medizinisch gesehen kann es sich um eine akute Belastungsreaktion handeln: eine vorübergehende seelische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis.

Wie unterscheiden sich akute Belastungsreaktion, akute Belastungsstörung und posttraumatische Belastungsstörung?

Alle drei Begriffe bezeichnen psychische Reaktionen auf stark belastende oder traumatische Ereignisse, jedoch mit unterschiedlichen Schweregraden, zeitlichen Verläufen und diagnostischen Kriterien. Sie stammen aus verschiedenen internationalen Klassifikationssystemen für psychische Störungen: Im deutschen Gesundheitssystem wird vor allem die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation verwendet. In den USA ist das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen (DSM-5) maßgeblich.

Wie entsteht eine akute Belastungsreaktion?

Die Symptomatik ist eine unmittelbare seelische Reaktion auf ein stark belastendes Ereignis. Ob es zu einer solchen Reaktion kommt, hängt nicht nur vom Ereignis selbst ab, sondern auch von der persönlichen Veranlagung. Menschen mit einer erhöhten seelischen Empfindsamkeit (Vulnerabilität), früheren belastenden Erfahrungen oder wenig sozialer Unterstützung sind oft anfälliger. Die Medizin spricht hier vom sogenannten Diathese-Stress-Modell: Erst wenn eine individuelle Verwundbarkeit mit einem belastenden Ereignis zusammentrifft, entsteht die typische Symptomatik.

Wie wird eine akute Belastungsreaktion diagnostiziert?

Die Diagnose kann im Rahmen eines ärztlichen Gesprächs erfolgen, bei dem über die akuten Beschwerden, das auslösende Ereignis und die Dauer der Symptome gesprochen wird. Auch Angehörige können bei der Einschätzung unterstützen, etwa wenn der oder die Betroffene selbst sehr zurückgezogen oder verwirrt wirkt.

Viele Menschen mit Symptomen einer akuten Belastungsreaktion suchen allerdings keinen Arzt auf, weil sie denken, dass die Beschwerden von selbst wieder weggehen. Und tatsächlich: Häufig lassen die Symptome nach wenigen Stunden oder Tagen von allein nach. Deshalb wird die entsprechende Diagnose selten gestellt.

Wie verläuft eine akute Belastungsreaktion?

  • Die Symptome einer akuten Belastungsreaktion treten meist unmittelbar nach dem belastenden Ereignis auf, oft innerhalb von Minuten oder wenigen Stunden.
  • Viele Betroffene berichten, dass die Reaktion sie plötzlich und heftig überkommt, z. B. Gefühle von Taubheit, starker innerer Unruhe, Zittern oder das Gefühl, wie neben sich zu stehen.
  • In den meisten Fällen klingen die Beschwerden rasch wieder ab, d. h. innerhalb weniger Stunden bis Tage.

Halten die Beschwerden länger an oder verstärken sie sich, handelt es sich nicht mehr um eine akute Belastungsreaktion, sondern möglicherweise um eine andere psychische Störung wie z. B. eine Anpassungsstörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). In solchen Fällen sollte unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

Wie wird eine akute Belastungsreaktion behandelt?

Ob überhaupt eine Behandlung erforderlich ist, hängt von der Schwere der Symptome und deren Verlauf über die Zeit ab. Bilden sich die Beschwerden innerhalb kurzer Zeit zurück, setzt oft eine normale Verarbeitung der Belastung / des Traumas ein und es wird keine weitere Hilfe benötigt.

Leichte bis mittelgradige Symptome

Bei leichten Symptomen wie Zittern, Schwitzen, Herzklopfen, dem Bedürfnis nach Rückzug oder auch einem Gefühl innerer Leere kann Folgendes unterstützen:

  • Ruhe und eine sichere Umgebung,
  • einfühlsame Unterstützung durch Angehörige oder Freunde und
  • Aufklärung (Psychoedukation), dass bestimmte körperliche und psychische Reaktionen auf das Erlebte eine normale Reaktion des Körpers sind.

Schwere anhaltende Symptome

Wenn die Symptome als sehr intensiv erlebt werden, beispielsweise mit panikartigen Zuständen, Wahrnehmungsstörungen und Gedächtnislücken, starker emotionaler Erregung, völligem Rückzug oder Beeinträchtigung von Alltag und Lebensführung, kann eine professionelle Behandlung sinnvoll sein. Das gilt insbesondere, wenn die Symptome länger als einige Tage anhalten:

  • Psychotherapeutische Unterstützung, z.  durch stabilisierende Gespräche oder Verhaltenstherapie
  • Medikamentöse Behandlung, z.  zur kurzfristigen Linderung starker Unruhe oder Schlafprobleme – jedoch nur unter ärztlicher Aufsicht, da viele Medikamente abhängig machen können

Belastungsstörung: Tipps für den Alltag

Bei leichteren Beschwerden können einfache Maßnahmen im Alltag helfen, das seelische Gleichgewicht zu stabilisieren und den inneren Stress zu reduzieren. Wichtig ist, gut für sich selbst zu sorgen und auf Warnsignale des Körpers zu achten:

  • Sicherheitsgefühl stärken, z. B. einen Ort oder eine Umgebung aufsuchen, in der man sich wohlfühlt.
  • Ein geregelter Tagesablauf vermittelt Stabilität.
  • Gesunde Schlafroutinen mit festen Schlafenszeiten und ausreichend Schlaf einhalten.
  • Ausgewogene Ernährung mit regelmäßigen Mahlzeiten.
  • Verzicht auf Alkohol, Cannabis und andere Substanzen, um Gefühle zu betäuben.
  • Entspannungstechniken nutzen, z. B. Atemübungen, Meditation oder progressive Muskelentspannung, um Stress abzubauen.
  • Bewegung an der frischen Luft.
  • Austausch mit vertrauten Menschen.

Hilfe bei psychischen Belastungen finden

Nach einem belastenden Ereignis fühlen sich viele Menschen überfordert, verunsichert oder emotional instabil. Wenn diese Reaktionen anhalten oder sich verstärken, ist es wichtig, frühzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen – nicht nur zur Entlastung im Moment, sondern auch, um einer möglichen Chronifizierung oder weiteren psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Hilfe bieten u. a.:

Hausarzt

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Psychotherapeuten, Terminvereinbarung über Terminservicestelle der kassenärztlichen Vereinigung

Telefonseelsorge, Tel. 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222

Weisser Ring für Opfer von Straftaten, Tel. 116 006

Häufige Fragen zum Thema „akute Belastungsreaktion“

Nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten gilt die akute Belastungsreaktion nicht als Krankheit, sondern als zeitlich begrenzte Reaktion auf eine außergewöhnliche seelische Belastung.

Genaue Zahlen dazu, wie oft eine akute Belastungsreaktion auftritt, gibt es nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Beschwerden meist sehr schnell wieder abklingen und viele Betroffene gar nicht erst ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das bedeutet, dass die akute Belastungsreaktion meist nicht offiziell dokumentiert oder diagnostiziert wird.

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Können die Folgen eines belastenden Ereignisses nicht allein bewältigt werden, sollten Betroffene professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, um eine Chronifizierung oder Ausweitung der Symptome zu verhindern. Sinnvoll ist es in der Regel auch, Angehörige einzubeziehen, da sie bei der Traumabewältigung eine wichtige Stütze sein können.

In der Regel klingt eine akute Belastungsreaktion von selbst wieder ab, sodass keine Psychotherapie nötig ist. Wenn die Symptome jedoch besonders belastend sind oder länger anhalten, kann eine kurzfristige psychotherapeutische Unterstützung sinnvoll sein, z. B. in Form stabilisierender Gespräche. Eine umfassende Therapie ist meist nur dann erforderlich, wenn sich die Beschwerden nicht zurückbilden und eine anhaltende Störung wie eine PTBS entsteht.

Medikamente (z. B. Benzodiazepine) können einzelne Symptome wie Schlaflosigkeit oder Anspannung lindern. Sie sind jedoch mit einem hohen Abhängigkeitspotenzial verbunden und werden deshalb allenfalls sehr kurzfristig und unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt. Wichtig zu wissen: Keine dieser Substanzen verhindert die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung.1

In der akuten Phase nach einem belastenden Ereignis greifen manche Menschen zu Alkohol, Cannabis oder Beruhigungsmitteln, um sich kurzfristig zu beruhigen. Gerade bei innerer Unruhe, Schlafproblemen oder Angst kann die Versuchung groß sein, auf diese Mittel zurückzugreifen, oft in der Hoffnung, das Erlebte besser „wegzudrücken“. Tatsächlich berichten viele Betroffene, dass ihnen Alkohol zunächst helfe, zur Ruhe zu kommen. Allerdings kann der fortgesetzte Konsum von Alkohol zur vermeintlichen Bewältigung der Symptome Tür und Tor für eine Suchterkrankung öffnen, insbesondere, wenn die Symptome fortbestehen. Eine Alkoholabhängigkeit kann wiederum das Risiko für psychische Folgeerkrankungen wie Depressionen erhöhen.2

1 Bertolini F, Robertson L, Bisson JI, Meader N, Churchill R, Ostuzzi G, Stein DJ, Williams T, Barbui C. Early pharmacological interventions for prevention of post-traumatic stress disorder (PTSD) in individuals experiencing acute traumatic stress symptoms. Cochrane Database of Systematic Reviews 2024, Issue 5. Art. No.: CD013613. DOI: 10.1002/14651858.CD013613.pub2, https://www.cochrane.org/CD013613/DEPRESSN_medicines-prevent-post-traumatic-stress-disorder-people-acute-traumatic-stress-symptoms (Datum des Zugriffs: 08.04.2025)

2 My Way Betty Ford Klinik: “Alkoholismus-Folgen”, Stand: 11.04.2024, https://www.mywaybettyford.de/suchtkompendium/alkoholismus-folgen/ (Letzter Abruf: 25.06.2025)

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