Medikamentensucht

10 Minuten

Aktualisiert am 5. Juni 2025

 

 

Wichtiges im Überblick

  • Medikamentensucht kann durch Missbrauch oder bei ärztlich verordneter Einnahme entstehen.
  • Ein hohes Suchtpotenzial besitzen Z-Drugs, Opiate und Opioide sowie Benzodiazepine.
  • Bei sogenannter Niedrigdosisabhängigkeit genügt meist ein langsames Abdosieren.
  • Bei Hochdosisabhängigkeit wird die Therapie in einer Klinik empfohlen.
  • Ohne Behandlung kann die Sucht schwere gesundheitliche Folgen nach sich ziehen.

Abhängig von Medikamenten – wenn Tabletten den Alltag bestimmen

Spätestens mit der sogenannten Opioidkrise in den USA ist das Thema Medikamentensucht auch hierzulande in den Fokus gerückt. Denn: Den Ergebnissen des Epidemiologischen Suchtsurveys zufolge, zeigen 2,9 Millionen Menschen in Deutschland einen problematischen Medikamentenkonsum.1 Das Problem: Viele Arzneimittel besitzen ein Suchtpotenzial, das den Patienten oft gar nicht bewusst ist.

Was ist der Unterschied zwischen Medikamentensucht und Medikamentenmissbrauch?

Unter einem Medikamentenmissbrauch wird die missbräuchliche Anwendung von Arzneimitteln, zum Beispiel zu Rauschzwecken, verstanden. Aus einem Medikamentenmissbrauch kann langfristig eine Medikamentenabhängigkeit entstehen. Während der Begriff „Medikamentenmissbrauch“ sich auf ein Verhalten bezieht, beschreibt „Medikamentensucht“ eine Erkrankung. Diese kann aus der missbräuchlichen oder bestimmungsgemäßen Anwendung von Arzneimitteln hervorgehen.

Wer und wie viele sind betroffen?

Wie viele Menschen medikamentenabhängig sind, lässt sich aufgrund der hohen Dunkelziffer nur schwer bestimmen. Laut dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen ist von etwa 1,8 Millionen Medikamentenabhängigen auszugehen.2 Besonders häufig betroffen sind Frauen in der zweiten Lebenshälfte. Zu den suchtauslösenden Präparaten gehören vor allem Wirkstoffe aus der Gruppe der Schmerzmittel (Opiate und Opioide), der Schlafmittel (z. B. Z-Drugs) und der Beruhigungsmittel (z. B. Benzodiazepine).

Welche Auslöser gibt es für eine Tablettensucht?

Wie und bei wem sich eine Abhängigkeit von Medikamenten ausbildet, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wie bei anderen Suchterkrankungen auch, wird deshalb von einem multifaktoriellen Entstehungsmodell ausgegangen. Einige der Einflussfaktoren werden nachfolgend vorgestellt.

Wirkstoffe mit hohem Suchtpotenzial

Deutschlandweit haben etwa 4 bis 5 Prozent aller verordneten Medikamente ein Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial. Insbesondere manche Schlaf-, Beruhigungs- und Schmerzmittel können bereits bei niedriger Dosierung und kurzer Anwendung abhängig machen. Gerade die Wirkstoffe aus der Gruppe der Opiate und Opioide, Benzodiazepine und Z-Drugs haben ein hohes Suchtpotenzial.

Dosis und Dauer
der Einnahme

Je länger ein potenziell suchtauslösendes Medikament eingenommen wird und je höher die regelmäßige Dosis ist, umso größer ist die Gefahr einer Abhängigkeit. Denn: Als psychoaktive Substanzen führen die Arzneimittel langfristig zu strukturellen Veränderungen im Gehirn, die charakteristisch für eine Abhängigkeitserkrankung sind. Problematisch kann auch eine Niedrigdosisabhängigkeit sein. Diese stellt sich aber meist erst nach langer Zeit ein und lässt sich unter ärztlicher Anleitung gut behandeln.3

Psychische Faktoren und weitere Auslöser

Psychische Faktoren können einen Einfluss auf die Ausbildung einer Tablettensucht haben. So machen psychische Erkrankungen, Stress oder soziale Konflikte die Einnahme von potenziell suchtauslösenden Arzneimitteln oft überhaupt erst erforderlich. Eine weitere Ursache können leider auch allzu verordnungsbereite Ärzte sein. Oft werden potenziell suchtauslösende Arzneimittel bereits bei leichten Symptomen verschrieben. Das Risiko für eine daraus entstehende Sucht ist hoch.

Wie wird eine Medikamentensucht diagnostiziert?

Die Diagnose einer Medikamentensucht wird meist auf Basis der Prüfung ärztlicher Verordnungen und der Angaben des Patienten gestellt. Eine klinische Untersuchung ist zusätzlich sinnvoll. Laborergebnisse müssen meist nicht angefordert werden. Um die korrekte Diagnose zu stellen, ist es wichtig, dass Betroffene wahrheitsgemäß über ihren Medikamentenkonsum informieren – insbesondere, wenn die Diagnose nicht durch den Arzt gestellt werden soll, der die Präparate ursprünglich verschrieben hat.

Wo und wie wird eine Tablettensucht behandelt?

Wenn Medikamente eine Sucht ausgelöst haben, ist ein strategisches und medizinisch fundiertes Vorgehen gefragt. Auf keinen Fall sollte die Medikamenteneinnahme einfach gestoppt werden. Hier besteht ein hohes Risiko für schwere Entzugserscheinungen und Rebound-Effekte.

Ambulant oder stationär

Bei Niedrigdosisabhängigkeit ist ggf. ein ambulanter Medikamentenentzug möglich. Sind keine schweren Entzugserscheinungen zu erwarten, wird das jeweilige Präparat unter ärztlicher Anweisung langsam ausgeschlichen. Liegt hingegen eine schwere Tablettensucht vor, ist der Entzug in einer Klinik sinnvoll. Hier kann das Ausschleichen kontrollierter erfolgen (ggf. mit Umstellung des Wirkstoffs). Entzugssymptome werden durch eine passende Medikation gelindert. Darüber hinaus kann direkt eine begleitende Entwöhnungstherapie beginnen.

Psychotherapie

Eine umfassende Psychotherapie sollte stets fester Bestandteil der Behandlung einer Medikamentensucht sein (mögliche Ausnahme: Niedrigdosisabhängigkeit). Hier gehen Betroffene den Ursachen der Erkrankung auf den Grund, lernen alternative Verhaltensstrategien, entwickeln eine individuelle Rückfallprophylaxe und erfahren, wie sie den Suchtdruck unter Kontrolle bringen.

Was passiert, wenn eine Medikamentensucht nicht behandelt wird?

Die Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln, Schmerzmitteln und Co. kann langfristig schwere körperliche, psychische und soziale Folgen haben. Dabei fällt vor allem die Hochdosisabhängigkeit ins Gewicht.

Wie lässt sich einer Medikamentenabhängigkeit vorbeugen?

Der wichtigste Hinweis: Arzneimittel sollten immer genau nach den Vorgaben des behandelnden Arztes eingenommen werden. Patienten sollten im Zweifelsfall nach den Nebenwirkungen und dem Abhängigkeitspotenzial fragen. Hier kann notfalls auch der Apotheker weiterhelfen. Wenn es sich um Beruhigungsmittel, Schlafmittel oder Schmerzmittel handelt, sollten die Arzneimittel immer so kurz wie möglich und in so niedriger Dosis wie nötig eingenommen werden.

Hilfe bei Medikamentensucht finden

Wer befürchtet, an einer Tablettenabhängigkeit erkrankt zu sein, sollte sich im Normalfall zunächst an den Arzt wenden, der für die Verschreibung der Medikamente verantwortlich ist. Weitere Anlaufstellen können sein:

Hausarzt

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Selbsthilfegruppen

Suchtberatungsstellen

Suchtambulanzen

(private) Entzugskliniken

Häufige Fragen zum Thema „Medikamentensucht“

Wie lange ein Entzug von Medikamenten dauert, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Unter anderem spielen der konkrete Arzneistoff, die Dosis und die Dauer der Abhängigkeit eine Rolle. Mit Ausnahme von Patienten mit Niedrigdosisabhängigkeit ist von einer mehrwöchigen Therapie auszugehen. Im Idealfall werden körperlicher Entzug und psychische Entwöhnung direkt verknüpft.

Wenn Medikamente gegen Schmerzen oder Schlafstörungen eine Suchterkrankung verursacht haben, sollten diese nicht plötzlich abgesetzt werden. Stattdessen wird die Dosis über einen längeren Zeitraum kontrolliert reduziert, bis der Betroffene ohne Beschwerden auf die Einnahme verzichten kann. Bei manchen Tabletten ist zuvor eine Umstellung auf ein anderes Präparat erforderlich, das sich leichter ausschleichen lässt.

Ob Nebenwirkungen in Form von Entzugserscheinungen auftreten, wie schwer diese ausfallen und wie lange sie anhalten, kann individuell verschieden sein. Beim langsamen Ausschleichen ist das Risiko für Entzugssymptome reduziert. Sollten dennoch Beschwerden auftreten, halten körperliche Symptome meist nicht länger als ein bis zwei Wochen an. Psychische Suchtnebenwirkungen können jedoch länger bestehen. Umso wichtiger ist eine professionelle Therapie.

1 Rauschert, Christian et al. „Konsum psychoaktiver Substanzen in Deutschland – Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys 2021“, In: Dtsch Arztebl Int 2022; 119: 527-34; DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0244, https://www.aerzteblatt.de/archiv/konsum-psychoaktiver-substanzen-in-deutschland-a8c9e691-dbc5-4eb3-9d00-5bdfdf363b8e (Datum des Zugriffs: 12.02.2025)

2 Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen „Medikamentenkonsum in Deutschland“, https://datenportal.bundesdrogenbeauftragter.de/medikamente (Datum des Zugriffs: 12.02.2025)

3 Gräfe, Kerstin „Das Dilemma der Niedrigdosis-Abhängigkeit“, PZ Pharmazeutische Zeitung, 17.03.2021, https://www.pharmazeutische-zeitung.de/das-dilemma-der-niedrigdosis-abhaengigkeit-124408/ (Datum des Zugriffs: 12.02.2025)

Unsere leicht verständlich aufbereiteten Inhalte dienen lediglich der Information. Sie können und dürfen niemals eine ärztliche oder therapeutische Diagnostik, Beratung und Behandlung ersetzen. Wenden Sie sich bei Beschwerden bitte an Ihren Arzt. Alle Inhalte wurden gewissenhaft recherchiert, dennoch können wir aufgrund der Fülle der hier behandelten Themen keine Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit übernehmen. Die auf unseren Seiten aufgeführten Hilfsangebote stellen lediglich eine Auswahl dar. Wir geben keine Empfehlungen. Gerne können Sie uns für die Aufnahme weiterer, offizieller Hilfestellen kontaktieren. Wir prüfen dann, ob wir diese aufnehmen können.